Nicht alles, was glänzt, ist Gold
Es ist ein düsteres Bild, das die Gegner des neuen Gesetzes zeichnen. In ihrer "Kampagne Brady" raten sie, bei zukünftigen Meinungsverschiedenheiten in Florida jegliche Diskussion zu vermeiden, um mit dem Leben davonzukommen. Selbst bei einem unspektakulären, verschuldeten Autounfall sei es besser, im Wagen zu verharren und die Hände gut sichtbar zu zeigen, andernfalls der Unfallgegner zum finalen Todesschuss berechtigt sei. Da den europäischen Medien - von der Darstellung der Antiwaffen-Kampagne abgesehen - wenig Substantielles zu entnehmen ist, empfiehlt sich ein kurzer Blick in das besagte Gesetz, das Gouverneur Jeb Bush vor einem halben Jahr unterzeichnet hat und das heute in Kraft tritt.
(1) A person is presumed to have held a reasonable fear of imminent peril of death or great bodily harm to himself or herself or another when using defensive force that is intended or likely to cause death or great bodily harm to another if:
(a) The person against whom the defensive force was used was in the process of unlawfully and forcefully entering, or had unlawfully and forcibly entered, a dwelling, residence, or occupied vehicle, or if that person had removed or was attempting to remove another against that person's will from the dwelling, residence, or occupied vehicle; and
(b) The person who uses defensive force knew or had reason to believe that an unlawful and forcible entry or unlawful and forcible act was occurring or had occurred.
A person does not have a duty to retreat from a dwelling,
residence, vehicle, or place where the person has a right to be.
(2) A person who unlawfully enters or attempts to enter a
person's dwelling, residence, or occupied vehicle is presumed to
do so with the intent to commit an unlawful act involving force or violence.
Der große Paradigmenwechsel des Gesetzes liegt in der einheitlichen Behandlung von Notwehrfällen im privaten und öffentlichen Bereich. Bei Verbrechen im eigenen Heim galt seit jeher die von der alten Binsenwahrheit "My home is my castle" beeinflusste "stand your ground"-Doktrin. Demnach ist der im eigenen Haus Angegriffene A nicht zur Flucht verpflichtet, um der drohenden Verletzung zu entgehen. Er kann vielmehr standhaft bleiben ("stay your ground") und auch "deadly force" anwenden, falls ein schwerwiegender Angriff unmittelbar droht. Wurde A hingegen auf einer öffentlichen Straße in Florida angegriffen, hatte er nach alter Rechtslage nicht das Recht, den Aggressor zu töten, wenn er auf sichere Art und Weise flüchten könnte. Selbst wenn A wusste, dass der Aggressor ihn töten wolle, war es ihm versagt, "deadly force" anwenden. Stattessen hatte er der "Ausweichpflicht" zu entsprechen. Die Vereinheitlichung der Rechtslage in diesem Punkt ist eindeutig zu befürworten; das Recht darf dem Unrecht nicht weichen.
Das Gesetz verabschiedet sich jedoch von einem anderen elementaren Grundsatz des Selbstverteidigungsrechts. Dabei geht es im Grunde um das typischerweise in Selbstverteidigungsfällen auftretende Problem, das auch Murray Rothbard in "The Ethics of Liberty" behandelt hat: in welcher Intensität darf sich der Angegriffene zur Wehr setzen und wem obliegt die Beweislast im Bezug auf die Existenz eines rechtswidrigen Angriffs? Rothbards naturrechtlicher Auffassung zufolge verliert der Kriminelle sein Recht im selben Ausmaß, in welchem er in das des anderen eingegriffen hat; dieses Ausmaß bildet das Kriterium für das Ausmaß der zulässigen Selbstverteidigung. Die Kardinalfrage besteht nun darin, welche Anforderungen man an den kriminellen Eingriff in Rechte anderer stellt. Defensive Gewalt ist demnach ausschließlich zulässig, um einen unmittelbar und tatsächlich drohenden Eingriff in die Rechte einer Person abzuwehren. Dieser Eingriff muss sich in einem eindeutigen Akt offenbaren - bloße Vermutung oder Wahrscheinlichkeit ist zu wenig, wie Rothbard am Beispiel der Prohibition demonstriert. Das allgemeine Alkoholverbot wurde als defensiver Akt zum Schutz von Leben und Eigentum verstanden, da Menschen in alkoholisiertem Zustand dazu tendieren, Gewaltdelikte zu begehen.
In the same way, it could be held that (a) the failure to ingest vitamins makes people more irritable, that (b) the failure is therefore likely to increase crime, and that therefore (c) everyone should be forced to take the proper amount of vitamins daily.
Rothbard schlussfolgert:
Once we bring in "threats" to person and property that are vague and future-i.e., are not overt and immediate, then all manner of tyranny becomes excusable. In short, the burden of proof that the aggression has really begun must be on the person who employs the defensive violence.
Dieser Beweispflicht ist sicherlich entsprochen, wenn sich der Familienvater einem Einbrecher gegenüber sieht, der soeben die Balkontüre eingeschlagen hat und der sich auf ihn zubewegt. Man kann von unserem Familienvater nicht ernsthaft erwarten, dass er sich bei dem Einbrecher zuerst ausführlich über dessen Absichten erkundigt, bis er Maßnahmen setzt. "Guten Tag, Herr Einbrecher, haben sie vor, meine Frau zu vergewaltigen und mich zu erschießen oder begnügen Sie sich mit Fernseher und Tresor?" Das neue Gesetz allerdings streicht diese Beweislast des Selbstverteidigers und unterstellt dem Eindringling unwiderleglich, dass er das Leben der dort wohnenden Personen gefährden will. Der Gesetzeslaut spricht von einer "presumption", die "conclusive" ist - also auch nicht durch gegensätzlichen offenkundigen Beweis zu entkräften ist. Diese Regelung ordnet nicht etwa eine Beweislastumkehr zulasten des Angreifers an; sie eliminiert die Möglichkeit eines Beweises a priori. Die selbe Regelung trifft auf Situationen in Fahrzeugen zu (der Zweck besteht in einer gewünschten restriktiveren Handhabung von Fällen des "car hijacking"). Dies hat zur Folge, dass "Selbstverteidiger" A auch dann nicht geklagt und verurteilt werden kann, wenn eindeutig und ohne Zweifel feststeht, dass "Aggressor" B nicht kurz davor stand, einen Angriff gegen A zu initiieren.
Situationen, in denen das neue Gesetz deshalb zu wahnsinnigen Ergebnissen führt, sind nicht allzu schwer auszudenken. Der vermeintliche Aggressor B, ein leicht Betrunkener, der sich As Auto nähert und es ohne seinen Willen berührt (um sich abzustützen oder sonstwas), kann von A legal erschossen werden, wenn dieser davon ausgegangen war, dass B ihn entführen wollte. Dutzende Zeugenaussagen, nach denen einwandfrei ersichtlich war, dass es sich um einen harmlosen Bettler/Alkoholiker gehandelt hat, der keinerlei kriminelle Absichten erkennen ließ, würden daran nichts ändern.
Nach der alten Rechtslage durfte der Aggressor getötet werden, wenn das Opfer allen Grund zur Annahme eines unmittelbar bevorstehenden Angriffes hatte. Nach der neuen Rechtslage ist jeder Aggressor zum Abschuss frei gegeben, wenn das Opfer allen Grund zur Annahme hatte, dass er in sein Haus oder sein Auto rechtswidrig bzw. gewalttätig eintreten wird.
Weite Teile des Gesetzes sind folglich abzulehnen; nicht weil es - so der Tenor der Gegner - das Eigentum höher als das Leben bewertet, sondern weil es ein Kriterium abschafft, das als einziges zu verhindern in der Lage ist, dass sämtliche Formen der Tyrannei entschuldbar werden: die beim Selbstverteidiger liegende Beweislast.
5 Comments:
So ins Arbeitsrecht-Strebern vertieft, dass es gar keinen Beitrag zum großartigen Wahlergebnis in der Steiermark gibt?
Wahlen, wen interessieren schon Wahlen...
Danke für die interessanten Links.
Ein paar Anmerkungen meinerseits:
Die Fragen&Antworten-Rubrik der Behörden ist nicht ganz aktuell - vor allem findet die Ausweitung der "my home is my castle"-Doktrin noch keine Berücksichtigung.
Bob J übersieht eine entscheidende Gesetzesformulierung, was das Szenario "Einbruch in Wohnung/Auto bzw. Entführung" betrifft: Es ist nicht nötig abzuwarten, bis der Aggressor in das Auto/die Wohnung eindringt. Das Gesetz teilt das Szenario in (1) - die Person befindet sich im Prozess des gewaltsamen und rechtswidrigen Eindringens ("in the process of unlawfully and forcefully entering") - und (2) - die Person ist eingedrungen ("had unlawfully and forcibly entered"). Diese Bestimmung in Verbindung mit der unwiderlegbaren gesetzlichen Vermutung, ein rechtswidrig und gewaltsam handelnder Aggressor habe die Absicht, lebensgefährliche Gewalt anzuwenden, stellt meinen wesentlichen Kritikpunkt dar. Der Bettler/Alkoholiker in dem oben angeführten Beispiel befindet sich "in the process of unlawfully and forcefully entering", was nach neuer Rechtslage volles Notwehrrecht bis hin zu "deadly force" auslöst (so evidentermaßen harmlos er auch gewesen sein mag - ein Gegenbeweis ist nicht zulässig). Das Proportionalitäts-Prinzip zwischen aggressiver und defensiver Handlung ist somit ad absurdum geführt.
Sicher warten schon viele, im Jagdfieber wie Jaeger, auf ihre Opfer.
Wer eine Waffe hat, will sie auch mal benutzen.
Es sei denn, man hat den Menschen streng erzogen und berechenbar gemacht.
Aber um die Lage von Gesetzesbrechern und um die Gefahr von "Jagdfieber" scheint sich niemand zu interessieren.
Danke fuer den Denkanstoss.
Konrad
So ist es. Nicht Waffen töten, sondern die Menschen, die sie bedienen. Wenn Waffenbesitz kriminell ist, dann werden eben nur die Kriminellen Waffen haben. Will man die "Gefahr Waffe" gänzlich abschaffen, muss man den Menschen abschaffen.
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