Donnerstag, September 22, 2005

Das neue Kollektivstrafrecht

Am 1.1.2006 tritt in Österreich das "Verbandsverantwortlichkeitsgesetz"(VbVG) in Kraft, das eine Strafbarkeit juristischer Personen vorsieht und - von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt - einen fundamentalen Paradigmenwechsel im österreichischen Strafrecht darstellt.
Unter juristischen Personen versteht man künstliche, nicht-menschliche Rechtssubjekte, denen kraft staatlichen Anerkennungsaktes die Rechtsfähigkeit zugestanden wird. Aufgrund dieser Konstruktion ist es möglich, dass die juristische Person selbst (zB die Aktiengesellschaft) - und nicht seine Mitglieder - Träger von Rechten und Pflichten sein kann. Das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz ist das Ergebnis von vielen verschiedenen völkerrechtlichen, gemeinschaftsrechtlichen und internationalen Verpflichtungen, denen der Staat Österreich unterliegt. Demnach besteht angesichts grenzüberschreitender Wirtschafts- und Umweltsdelikte ein kriminalpolitisches Bedürfnis, die juristische Person selbst zur Verantwortung zu ziehen, um präventiv Einfluss auf Unternehmensentscheidungen ausüben zu können. Die Befürworter des Gesetzesvorschlags konzedieren zwar, dass die bestehenden verwaltungrechtlichen und zivilrechtlichen Normengefüge bereits eine lückenlose Handhabe bieten, sehen allerdings im fehlenden pönal-präventiven Element eine Regelungslücke. Worin, mag der Leser berechtigterweise fragen, besteht nun der eingangs konstatierte fundamentale Paradigmenwechsel? Es leuchtet aus der Vernunft ein, dass ein fiktives Gebilde wie die XY-GmbH kein personales Unrecht auf sich laden kann. Die XY-GmbH kann sich nicht bewusst gegen das Recht und für das Unrecht entscheiden, da sie weder über einen freien Willen noch über eine (von den Organen) unabhängige Möglichkeit zu handeln verfügt. Selbst nach Maßgabe des positiven österreichischen Strafrechts mutet die Strafbarkeit juristischer Personen abenteuerlich an. Das StGB sieht in § 4 das individuelle Schuldprinzip vor, wonach Schuld lediglich ein Individuum, nicht aber einen fiktiven Personenverband, treffen kann. Dieses Problem hat man auch im Justizministerium erkannt und mithilfe eines Systems gelöst, das man getrost als Kollektivstrafrecht bezeichnen kann. Straftaten von Unternehmensangehörigen können in Gleichsetzung von individueller und kollektiver Verantwortlichung nun dem Unternehmen zugerechnet werden - ein strafrechtlich relevantes Verhalten einer bestimmten für das Unternehmen tätigen Person muss nicht mehr festgestellt werden, das Unternehmen trifft eine "originäre Verantwortlichkeit". Da man Unternehmen weder einsperren noch mit Geldstrafen (die Individualschuld denknotwendig voraussetzen) bedenken kann, hilft man sich in erster Linie mit Geldbußen und der Streichung von Subventionen. Die Wirtschaftskammer Österreich feiert die Festschreibung einer Höchstgrenze von 180 Tagsätzen bei 10.000 Euro Buße (ingesamt also maximal 1.8 Millionen Euro) als Erfolg. An der Einführung der strafrechtlichen Kollektivschuldthese hat die "Vertretung der Wirtschaft" ebenso wenig auszusetzen wie an der Tatsache, dass Bund, Länder und Gemeinden von der Strafbarkeit bezeichnenderweise ausgeschlossen sind. Keine dogmatisch und vernunftrechtlich noch so absurde Konstruktion ist zu absurd, wenn es darum geht, Unternehmen abzustrafen.

2 Comments:

Blogger abstrahiert said...

Allerdings sehr problematisch, die Materialien geben bezeichnenderweise auch keinen Aufschluss, wem damit wirklich geholfen ist. Und dass damit von Nulla Poena Sine Culpa abgegangen wird, ist -- wie du schon ausgeführt hast -- ebenfalls bedenklich.

6:17 PM  
Blogger Flaubert said...

In der Tat, but see what comes next... *g*

8:03 PM  

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