Freitag, Oktober 07, 2005

Der apolitische Politiker

20% bei der Grazer Gemeinderatswahl 2003, drittstärkste Kraft bei den steirischen Landtagswahlen 2005 - KPÖ-Aushängeschild Ernest Kaltenegger eilt von Erfolg zu Erfolg. Die Konkurrenzparteien haben sich auf eine neue Sprachregelung geeinigt: kein "lokales" Phänomen, sondern ein "regionales" stelle Kaltenegger dar. Die Anzeichen mehren sich, dass er anlässlich der nächstjährigen Wahlen im Bund zum "nationalen" mutieren könnte. Versuch einer konsequent liberalen Betrachtungsweise.

Die Analyse der politischen Mitbewerber fällt stets geteilt aus, wie anhand der Einschätzung des Tiroler ÖVP-Landesgeschäftsführer Josef Lettenbichler exemplarisch anschaulich zu machen ist:

Er macht glaubwürdige und nicht unsympathische Politik. Aber Kommunismus ist schlimm.
Der allgemeine Tenor lautet: "Die Regierenden haben die Bescheidenheit verloren, sämtliche Politiker leben nicht mehr das, was sie sagen. Schad', dass er bei der KPÖ ist, ansonsten hätten wir ihn alle gerne in unseren Reihen."
Was aber unterscheidet Kaltenegger so fundamental von seinen Kollegen? In den Blickpunkt der breiten Öffentlichkeit rückte Ernest Kaltenegger mit seinem Erfolg bei den Grazer Gemeinderatswahlen 2003, als er 20% der Stimmen auf sich vereinen konnte. Der steirischen Bevölkerung ist er schon länger ein Begriff. Seit 1981 sitzt Kaltenegger im Gemeinderat. Sein Lohn für diese Tätigkeit beläuft sich auf 4600 Euro monatlich. 2700 Euro davon spendet er an jene Bedürftigen, die tagtäglich an seine Tür klopfen - völlig unbürokratisch, ohne Antragsformulare und amtliche Bedürftigkeitsprüfungen. Während andere Poltiker - auf "soziale Miss-Stände" angesprochen - geloben, eine Lösung zu suchen und einen Arbeitskreis bilden, zückt Kaltenegger seine Brieftasche.

Und der Kommunismus? Häufig werfen ihm seine Gegner "Nicht-Politik" vor, da er keinerlei ideologischen Angriffsflächen bietet. Nie kommt ihm ein ideologisches Wort über die Lippen. Nicht Marx oder Lenin, sondern die Alltagshelden seien seine Vorbilder. Die proletarische Weltrevolution ist ihm ein Fremdwort. Von Wahlplakaten lacht er nicht in roten T-Shirts mit Hammer und Sichel, sondern in bürgerlich-biederem Anzug mit Krawatte. Anstatt einschlägig kommunistischer Parolen bedient er sich mit Vorliebe christlicher Apercus ("Geben statt nehmen"). So mutet es nicht weiter verwunderlich an, dass die ehemaligen Klasnic-Wähler in Scharen der KPÖ ihre Stimme gaben. Da präsentiert sich ein Mann mit eben jener weißen Weste, welche die "Landesmutter" längst verloren hatte. 40 % der KPÖ-Stimmen stammen laut "Standard"-Wählerstromanalyse von ehemaligen Wählern der ÖVP bzw. FPÖ. Klar ist, dass (Steuer-)Raub Raub bleibt, so ethisch hochstehend man Kalteneggers Gelderverwendung auch ansehen mag. Der Zweck heiligt niemals die Mittel. Auch Kaltenegger tut nichts anderes, als das zuvor vom staatlichen Zwangsapparat abgenötigte Raubgut umzuverteilen. Wie jeder Politiker zeichnet er sich dadurch aus, mit dem Geld anderer Leute großzügig zu sein. Aber der KPÖ-Frontmann nutzt es nicht, um Pfründe zu erwerben, Freunderlwirtschaft zu betreiben oder sich selbst übermäßig zu bereichern. Die "Oberösterreichischen Nachrichten" bezeichneten ihn in einem Portrait treffend als einen, der "irgendwo zwischen Robin Hood und dem heiligen Martin angesiedelt" sei. Kaltenegger ist daher nicht weniger oder mehr Kommunist als seine rotschwarzblauorangegrünen Pendants, die zurecht bangen, sollte er bundespolitische Avancen entwickeln: ein kommunistischer, dezidierter Anti-Ideologe, der tut, was er sagt, stellt den Super-GAU für die allgemeine Politikerkaste dar. Sein einziger Fehler: er ist und bleibt dennoch einer von ihnen.