Mittwoch, Dezember 07, 2005

Juristisches vs ökonomisches Denken

Für (die meisten) Juristen unvorstellbar: Ein Gesetz zu erlassen, hat nicht automatisch zur Folge, dass sich die Normadressaten dementsprechend verhalten und kann zu gänzlich unerwünschten Ergebnissen führen. In keinem anderen österreichischen Gesetz tritt dies deutlicher zutage als im "Konsumentenschutzgesetz".
Es ist ein alltäglicher Fall: Handykauf in einem Handyshop eines beliebigen Anbieters. Nach einem Jahr bleibt der Display schwarz. Der Handyshop hat für Mängel, die in den ersten zwei Jahren nach Übergabe auftreten, kraft gesetzlicher Gewährleistungsvorschriften einzustehen. Unabhängig von diesem gesetzlich eingeräumten Recht gewähren die meisten Unternehmern ihren Kunden eine Garantie, die verglichen mit der (2002 von sechs Monaten auf zwei Jahre ausgedehnten) Gewährleistungsfrist in der Regel einen deutlich geringeren Zeitraum umfasst. Vereinfachend lässt sich feststellen, dass nach alter Rechtslage (6 Monate Gewährleistung) vor allem für den Kauf elektronischer Geräte die gesetzliche Gewährleistung eine untergeordnete Rolle gespielt hat, da die Garantie normalerweise die ersten sechs Monate abdeckt, was nach neuer Rechtslage typischerweise nicht mehr der Fall ist.
Wer bereits einmal versucht hat, sein neu gekauftes Handy aufgrund eines Defekts innerhalb der ersten zwei Jahre nach Kauf im Handyshop umzutauschen, wird an vorderhand an der Richtigkeit der obenstehenden Ausführen zweifeln. Der Verkäufer verweist auf die Garantie, ist diese abgelaufen, habe man Pech gehabt. Pocht man auf die gesetzlichen Gewährleistungsrechte (was relativ selten vorkommt, da sich dieses Rechtsinstitut keiner allzu großen Bekanntheit in der Masse erfreut) und wird man lästig, gesteht der Verkäufer ein, dass man tatsächlich dieses Recht hat. Er habe jedoch die interne Weisung erhalten, dass keine Gewährleistung gegeben wird. Je nach Unternehmen bedarf es einer etwas lauteren Stimmte oder eines netten Briefes, um das gesetzliche Recht dennoch in Anspruch nehmen zu können. Weniger hartnäckige Zeitgenossen werden den Shop wütend verlassen, aber in der Regel nicht auf die Idee kommen, wegen 100 Euro zu klagen. Der Grund für diese Unternehmenstaktik liegt freilich darin begründet, dass Gewährleistung für den letzten Unternehmer in der Kette sehr teuer kommt. Im Vertragsverhältnis mit seinem Belieferer schließt der Handyshop sämtliche Gewährleistungsrechte aus, um die Ware relativ billig zu bekommen und um sie mit entsprechender Gewinnspanne weiter zu verkaufen. Das Interesse, dem Konsumenten ein über die Garantie hinausgehendes Recht einzuräumen, hält sich daher verständlicherweise in sehr engen Grenzen. Der Gesetzgeber wollte diesem Problem in Verbrauchergeschäften durch § 9b KSchG verbeugen. In dessen ersten Absatz heißt es:

Verpflichtet sich ein Unternehmer gegenüber einem Verbraucher, für den Fall der Mangelhaftigkeit der Sache diese zu verbessern, auszutauschen, den Kaufpreis zu erstatten oder sonst Abhilfe zu schaffen (Garantie), so hat er auch auf die gesetzliche Gewährleistungspflicht des Übergebers und darauf hinzuweisen, dass sie durch die Garantie nicht eingeschränkt wird. Der Unternehmer ist an die Zusagen in der Garantieerklärung und an den in der Werbung bekannt gemachten Inhalt der Garantie gebunden.


Der Unternehmer, der dem Konsumenten eine Garantie gewährt, hat demnach darauf hinzuweisen, dass gesetzliche Gewährleistungsrechte dadurch nicht beeinträchtigt werden und auch nach Ablauf der Garantie zustehen. Er wird also dafür bestraft, dass er dem Verbraucher zusätzlich privatautonom eine Garantie einräumt. Das erscheint trotz einer gewissen Hirnrissigkeit im Ansatz prima facie ein taugliches Mittel darzustellen, um der gängigen Praxis einen Riegel vorzuschieben. Dabei wird jedoch völlig verkannt, dass man mit dieser Bestimmung einen Anreiz setzt, welcher der Zielsetzung völlig zuwiderläuft. Jeder Jurist bei Verstand müsste einem Unternehmer (der in einem weniger kompetitiven Gewerbe tätig ist) bei dieser Rechtslage dringend raten, keine Garantie mehr zu geben, damit auch nicht mehr auf die gesetzlichen Gewährleistungsrechte hingewiesen werden muss - mit dem Ergebnis, dass Otto Normalverbraucher schlechter dasteht als (je) zuvor: Garantie bekommt er keine mehr, weil Unternehmer nicht juristisch, sondern rational-logisch denken und auf gesetzliche Anreizstrukturen reagieren. Gewährleistung bekommt er auch nicht, weil er entweder nicht weiß, dass es so etwas gibt oder weil er sich vom Angestellten im Handyshop abservieren lässt.
Als ultima ratio wird in solchen Problemfällen oft das Erlassen saftiger Verwaltungsstrafen erwogen. Dies käme auch hier infrage, um einen Anreiz für Unternehmen zu schaffen, den Kunden gesetzliche Gewährleistungsrechte nicht vorzuenthalten. Da es jedoch keine actio ohne reactio gibt, ist das nicht der Weisheit letzter Schluss. Der letzte Unternehmer in der Kette wird daraufhin im Verhältnis zu seinem Belieferer die Gewährleistungsrechte nicht mehr ausschließen, damit er sich bei Inanspruchnahme durch den Kunden infolge von Gewährleistung bei seinem Vordermann regressieren kann. Der Belieferer wiederum wird nicht bereit sein, zu diesen Konditionen die Handys zum selben billigen Preis zu verkaufen, zumal er das Risiko miteinberechnen muss, vermehrt aufgrund von Gewährleistungsfällen regresspflichtig zu werden. Folge für den Verbraucher: der Handypreis steigt. Aber Hauptsache, er ist "geschützt" worden ...