Donnerstag, November 10, 2005

Staat gegen Meinungsfreiheit, Folge 1002

Wie immer klingt es nach einem Witz und entpuppt sich als unglaubliche Wahrheit:

Beim diesjährigen Maisingen demonstrierte ein Student gegen singende Burschenschaftler. Weil laut Polizei aus seiner Richtung Knallkörper flogen, kontrollierten die Beamten ihn und weitere Demonstranten. Sie fanden an seinem Rucksack ein Button in Größe eines Zwei-Euro-Stücks. Es zeigt ein durchgestrichenes Hakenkreuz, ähnelt einem Halteverbotsschild.

Man möge sich die Situation in Ruhe vergegenwärtigen. Hier demonstriert eine Person gegen den Nationalsozialismus mit einem durchgestrichenen Hakenkreuz.
Für den 21-Jährigen (er studiert Geschichte und Politik, ist nicht vorbestraft) ein eindeutiges Symbol: „Ich wollte mich damit gegen Nationalsozialismus, Antisemitismus und Rechtsradikalismus aussprechen.“

Logisch - was sonst?

Doch für die Staatsanwaltschaft ist es ein „verfassungswidriges Kennzeichen“. Dem Studenten flatterte ein Strafbefehl über 200 Euro ins Haus.

Als Mensch mit aktiviertem Hausverstand schließt der 21-Jährige:
Ich habe das im ersten Moment für einen Scherz gehalten.

Weit gefehlt. Staatsanwälte scherzen nicht:
"Ob es strafbar ist, einen solchen Button in der Öffentlichkeit zu tragen, darüber kann man geteilter Meinung sein“, räumte Oberstaatsanwalt Michael Pfohl ein. Wie auch über den Polizeieinsatz: Die habe mit zehn Mann kontrolliert: „Unangemessen und überzogen“, wetterte Verteidiger Burkhard Gaedke.
„Es geht nicht um den Polizeieinsatz“, verwahrte sich der Oberstaatsanwalt. „Wir werden häufiger mit solchen Kennzeichen konfrontiert.“ Deshalb wolle seine Behörde klären, ob solche Demonstrationen strafbar sind. „Es geht um eine formale Tabuisierung“ – der Gesetzgeber habe den Paragrafen 68 a bewusst sehr weit gefasst: „Das Kreuz soll aus dem Verkehr gezogen werden.“

Das bei diesen Worten unweigerlich aufkeimende Unverständnis versucht er wiefolgt einzudämmen:
Es geht nicht um Otto Normalverbraucher, sondern um den japanischen Touristen, der nach Tübingen kommt.

Achso, alles klar. Es soll verhindert werden, dass Touristen (die regelmäßig keine Ahnung haben, dass durchgestrichene anti-nationalsozialistische Insignien zu tragen in Deutschland bei Strafe verboten ist) die Botschaft gegen Nationalsozialismus in die weite Welt hinaustragen?

Aber auch der Staatsanwalt ist ja kein Unmensch:
Weil die Motive der Tat „nicht unehrenhaft“ seien, plädierte er indes auf „Verwarnung mit Strafvorbehalt“.

Sehr nobel, wirklich. Im Prozess plädierte der Verteidiger allerdings auf Freipspruch und berief sich auf das Recht auf freie Meinungsäußerung - ein wahrhaft reaktionärer Mensch; weiß er denn nicht, dass sämtliche sog. "Grundfreiheiten" nur unter Gesetzesvorbehalt gnädigerweise gewährt werden; dass "Freiheit immer die Freiheit des anderen" ist, ja dass Freiheit auf der einen denknotwendig mit Zwang auf der anderen Seite verbunden ist? Vertritt er denn gar die Meinung, dass sich Freiheit nicht als "schrankenlose Willkür" definiert, sondern wesensimmanent - per definitionem - die Verletzung der Sphäre eines anderen ausschließt und verbietet, weswegen obiges, ewig zitiertes Bonmot von Rosa Luxemburg einen Scheinwiderspruch konstruiert und einen Erkenntnisgewinn vergleichbar jenem des Satzes "Die eine Straße hört dort auf, wo die andere beginnt" aufweist?

Doch Richterin Christiane Barth folgte der Staatsanwaltschaft: 150 Euro „unter Vorbehalt“, als Auflage muss der Student 50 Euro an den Förderverein Buchenwald bezahlen. „Auch zum Widerstand gegen Rechtsradikalismus sollen keine NS-Zeichen verwendet werden“, begründete die Richterin. „Es soll verhindert werden, dass diese Symbole wieder in den politischen Alltag einziehen.“

Was immer diese Richterin gesprochen hat - mit Recht hat es nichts zu tun. Selig seien die Hirnlosen, die sich nach so einer Aktion noch in den Spiegel schauen können. Ihnen gehört das Weltenreich. Leider.

Quelle