Donnerstag, Oktober 20, 2005

Nur die halbe Wahrheit

Zu einer bemerkenswerten Entscheidung gelangte kürzlich das slowakische Verfassungsgericht: Artikel 5 der Antidiskriminierungs-Richtlinie des Europäischen Rates verstößt gegen die slowakische Verfassung. Artikel 5 gestattet den Mitgliedsstaaten, Maßnahmen der "positiven Diskriminierung" in Verbindung mit der Gleichstellung ethnischer Minderheiten zu erlassen und erklärt diese als mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar.
Als Paradebeispiel für Positividiskriminierungen gilt die gesetzliche Bevorzugung "gleich qualifizierter" Frauen bei Bewerbungen im Öffentlichen Dienst. Gerechtfertigt werden derartige Diskriminierungen mit der These, dass "strukturellen Diskriminierungen" (zB die Benachteiligung der Frauen) lediglich durch "positive Diskriminierungen" bekämpft werden können, um so einen nachhaltigen Einfluss auf das gesellschaftliche Klima auszuüben.
Die besagte Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse ist seit Juli 2004 Bestandteil slowakischen Rechts. Daran knüpfte sich ein 15-monatiger Streit zwischen Parlament und Regierung, wobei letztere Artikel 5 ablehnte.

Artikel 5

Positive Maßnahmen

Der Gleichbehandlungsgrundsatz hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, zur Gewährleistung der vollen Gleichstellung in der Praxis spezifische Maßnahmen, mit denen Benachteiligungen aufgrund der Rasse oder ethnischen Herkunft verhindert oder ausgeglichen werden, beizubehalten oder zu beschließen.


Dieser Streit wurde nun vom Verfassungsgericht entschieden. Demnach sind Normen, welche Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit bevorteilen, mit der slowakischen Verfassung inkompatibel, weil sie dem Grundsatz der gleichen Behandlung aller Bürger vor dem Gesetz zuwiderlaufen. Auswirkungen hat das Urteil in erster Linie für die Roma, da laut Spruch die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit keine privilegierte Behandlung im Schulbereich oder bei der Jobvergabe rechtfertigt. Leider sind die Verfassungsrichter auf halbem Wege stehen geblieben, sehen sie doch in der Förderung von Frauen, Kindern und anderen gesellschaftlichen Gruppierungen auf Kosten aller anderen keine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes. So darf gemutmaßt werden, ob das Urteil in dieser Form tatsächlich durch den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit motiviert war oder ob die Formulierung des Artikel 5 nicht eine allzu billige Gelegenheit bot, sich auf dem Rücken der ungeliebten Roma öffentlichkeitswirksam zu profilieren...