Dienstag, November 22, 2005

Charmante Illusion.

Rot-grün als politisches Projekt ist tot. Die zwei wesentlichen europäischen Staaten (Frankreich, Deutschland) haben das Experiment gewagt und aufgegeben.
Selbst die Intellektuellen haben sich von rot-grün abgewandt. Rot-grün hat seine Mission auch erfüllt. Der Inhalt der Mission? Keineswegs Atomausstieg, gesellschaftliche "Liberalisierung" oä. Viel banaler - die Integration der Alt-68er, die, gleichwohl zumeist entweder als öffentlich subventionierte "Staatskünstler" oder als Lehrer in dem Wissen tätig, dass deren angebotenen Dienstleistungen am freien Markt keinen Abnehmer finden würden, jahrelang anerkannterweise aus einer der unsäglichen Körper-Geist-Dichotomie verpflichteten Position der (vermeintlichen) moralischen Überlegenheit heraus ihren Kampf "Geist gegen Materie" ausgefochten haben. Sie durften ein letztes Mal aufbegehren und zufrieden beobachten, wie ihre Freunde aus Hausbesetzer- und RAF-Zeiten in höchste Staatsämter einzogen. Jeder muss schließlich seine Geschichte aufarbeiten. Dieser Kreis hat sich geschlossen.
Die Jungen sowie Neo-Intellektuellen haben damit wenig am Hut. Sie sind in der Mehrzahl BoBos (Bourgeois Bohémiens), die gerne im Prada oder House of England shoppen, ins Flex genauso gehen wie ins Burgtheater und die ihr aus dem Besuch letzterer Institution resultierendes schlechtes Gewissen mit perfektionierter Mülltrennung und einer Stimme für die Grünen besänftigen. Für den (starken) Staat sind sie natürlich, aber autoritär soll er nicht sein. Hitler, so wissen sie, war böser als alle anderen Diktatoren zusammen, dennoch finden sie es unschick, Che-Guevara-Leibchen zu tragen. Oder wie Silvia Fuhrmann, JVP-Vorsitzende, gesagt hat: "Ich trage keine zerrissenen Jeans. Das bin ich nicht."

Es wird daher kein rot-grün (mehr) geben (können) in Österreich. Dieser Zug ist endgültig abgefahren. Österreich hingegen, Vorreiter, was politische Farbenspiele am (vermeintlich) anderen ideologischen Spektrum betrifft, könnte einen neuen Trend setten. Schwarz-grün. Schwarz-grün muss fordern, wer den Anspruch des Alternativ-Seins behalten will. Rational erklären können muss man diese Forderung nicht. Schwarz-grün habe einen "gewissen Charme", so Politiker und opinion leader unisono. Einen Charme und den Reiz des Unbefleckten, Noch-Nicht-Ausprobierten und folglich auch Noch-Nicht-Gescheiterten. Diejenigen, die ablehnend einmahnen, die "politischen Realitäten" zu berücksichtigen, übersehen, dass die Grünen-Bewegung konservativen Ursprungs ist. Nicht zufällig führten zu Beginn der Bewegung alternative und konservative Grüne ein Paralleldasein ("Vereinte Grüne Österreichs" und "Alternative Liste Österreich" - zur Einigung kam es erst 1986). Was für die Grünen Umweltschutz ist, heißt bei den Schwarzen "Bewahren der Schöpfung". Der Grünen-Nachvollzug eines "aufgeklärten Sozialismus" entspricht vollends dem Programm der "christlichen Soziallehre" (mit "Herz-Jesu-Marxist" wurde eine treffende Bezeichnung gefunden). Wer ist es noch gleich, der unter dem Vorwand einer "autonomen EU-Finanzierung" das Herzstück der grünalternativen Bewegung - die "Tobin-Steuer" - vertritt? - Doch nicht etwa Wolfgang Schüssel, rechtsrechter Rechts-Recke, der, so die Diktion, den personifizierten Austrofaschismus salonfähig gemacht hat? Ein weiterer Kreis würde sich schließen.

Ich bin auch für schwarz-grün. Es würde eine weitere Illusion zerstören. Es würde einer weiteren politischen Konstellation den "Charme" rauben und somit vielleicht den einen oder anderen mehr dazu bringen, nachzudenken und die Politik als das zu betrachten, was sie ist: ein Relikt, ein Irrtum, den es auf dem Müllplatz der Geschichte zu entsorgen gilt.