Verbotsgesetz - und kein Ende
Christian Fleck ("Standard"; kostenpflichtig). Allesamt traten sie für die Abschaffung des (weltweit einzigartigen) Verbotsgesetzes ein. In der letzten Wochenendausgabe der "Presse" erhielt der Rechtsanwalt und Professor für Öffentliches Recht
Alfred J. Noll die Gelegenheit, eine flammende Verteidigungsrede für das Verbotsgesetzes zu publizieren. Dabei erfüllt er jedes Klischee rechtspositivistischen Irrdenkens.
In durchgehend beleidigt-larmoyantem Ton bezeichnet Noll seine argumentativen Widerstreiter Ortner ("ein Apostel neoliberaler Befreiung von staatlicher Bevormundung"), Fleischhacker ("der konservative Chefredakteur dieses Blattes") und Fleck ("der linke Soziologe") als "die Herren Abschaffer", "Kreuzritter der 'absoluten' Meinungsfreiheit" und "Rechtsverächter besonderer Güte". In der Forderung nach Abschaffung des Verbotsgesetzes meint Noll gar eine Aufforderung zum Rechtsbruch zu erkennen, da Österreich völkerrechtlich qua Staatsvertrag dazu verpflichtet sei, das Verbotsgesetz aufrechtzuerhalten. Nun könnte man über diese Frage sicherlich seitenlange Rechtsgutachten schreiben. Es soll bei einer kleinen Anmerkung belassen werden. Noll stützt sich auf Art 9 StV 1955:
Auflösung nazistischer Organisationen
1. Österreich wird die bereits durch die Erlassung entsprechender und von der Alliierten Kommission für Österreich genehmigter Gesetze begonnenen Maßnahmen zur Auflösung der nationalsozialistischen Partei und der ihr angegliederten und von ihr kontrollierten Organisationen einschließlich der politischen, militärischen und paramilitärischen auf österreichischem Gebiet vollenden. Österreich wird auch die Bemühungen fortsetzen, aus dem österreichischen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben alle Spuren des Nazismus zu entfernen, um zu gewährleisten, daß die obgenannten Organisationen nicht in irgendeiner Form wieder ins Leben gerufen werden, und um alle nazistische oder militaristische Tätigkeit und
Propaganda in Österreich zu verhindern.
2. Österreich verpflichtet sich, alle Organisationen faschistischen Charakters aufzulösen, die auf seinem Gebiete bestehen, und zwar sowohl politische, militärische und paramilitärische, als auch alle anderen Organisationen, welche eine
irgendeiner der Vereinten Nationen feindliche Tätigkeit entfalten oder welche die Bevölkerung ihrer demokratischen Rechte zu berauben bestrebt sind.
3. Österreich verpflichtet sich, unter der Androhung von Strafsanktionen, die umgehend in Übereinstimmung mit den österreichischen Rechtsvorschriften festzulegen sind, das Bestehen und die Tätigkeit der obgenannten Organisationen auf österreichischem Gebiete zu untersagen.
Ein Gebot, "jede Form der nationalsozialistischen Wiederbetätigung unter Strafe zu stellen", lässt sich daraus schwer destilieren. Explizit ist die Rede davon, das "Bestehen und die Tätigkeit" von faschistischen bzw nationalsozialistischen Organisationen bei Strafandrohung zu untersagen. Das allerdings stellt nicht das "Herzstück" des Verbotsgesetzes dar. Der Rechtsprechung des OGH zufolge ist zur Erfüllung des Tatbestandes einer Wiederbetätigung kein "komplexes Handeln" notwendig, sondern lediglich ein Handeln, das "einzelne für den Nationalsozialistmus typische Ideen zum Ausdruck bringt". Als "typisch nationalsozialistisch" sieht der OGH beispielsweise die Bezeichnung des Staatsvertrags 1955 als "Diktat von Wien" oder die Aufforderung "Kampf gegen die Lüge einer österreichischen Nation".
In weiterer Folge ergeht sich Noll in polemischen Fehlschlüssen:
Also: Schaffen wir die Strafbarkeit des Mordes ab! Ganz offensichtlich ist der Mord seit Jahrtausenden verboten. Was hat es genützt? Immer noch und immer wieder werden Menschen gewaltsam zu Tode gebracht. Unter dem Blickwinkel der Generalprävention erweist sich die Sanktionierung des Mordes als wenig effektiv. Und wissen wir wirklich von einem Mörder, der sich durch seine Bestrafung gebessert hat?
Er vermeint damit, einen logischen Fehler in einem Gedankengang Ortners geortet zu haben, der gemeint hat, dass das Verbotsgesetz keine generalpräventive Wirkung habe. Es ist sicherlich richtig, diese Feststellung Ortners zu kritisieren. Das Problem liegt nicht darin, dass dem Verbotsgesetz keine generalpräventive Wirkung zukomme, sondern darin, dass es Anreize setzt, sich nationalsozialistisch wiederzubetätigen. Das mag auf den ersten Blick unlogisch erscheinen, drohen doch eingangs erwähnte Freiheitsstrafen bis zu 20 Jahren. Der aus nachteiligem sozialen Milieu stammende Jugendliche, der gerade seine Lehre abgebrochen hat und nicht weiß, was er mit seinem Leben anfangen soll, denkt jedoch nicht in Paragraphen. Vielmehr stellt er sich die Frage: "Wenn der Staat ein solches Interesse daran hat, Holocaustleugner wegzusperren, muss an diesen Theorien ja doch etwas dran sein. Wenn sie völlig blödsinnig wären, müsste sie man nicht dafür bestrafen." Schon wittert er eine große Verschwörung, hinter welcher nur die Juden stehen können, hat sich den Kopf kahl geschoren, Springerstiefel gekauft und den Hitlergruß vor dem Spiegel perfektioniert. Gut gemeint ist eben häufig das Gegenteil von Gut. Das Verbotsgesetz löst keine Probleme, genauso wie man sich generell von der Idee verabschieden sollte, mit dem Strafrecht könne man soziale Konflikte lösen oder entschärfen.
Auf das entscheidende Argument contra Verbotsgesetz konnte Noll, der noch weitere völkerrechtliche Übereinkommen zitiert, aus denen er eine vom Verbotsgesetz gar unabhängige "direkte" Strafbarkeit nationalsozialistischen Handelns in Österreich deduziert, als Rechtspositivist freilich nicht eingehen; in einem (materiellen!) Rechtsstaat werden Dummheiten und Lügen mit Argumenten bekämpft, aber es bleibt den Dummen unbelassen, ihre Theorien weiter zu vertreten (solange sie sie nicht in die Tat umsetzen und Eigentum, Gesundheit, Leben eines anderen verletzen). Das Verbieten und Bestrafen von Lügen und Unwahrheiten ist ein zutiefst totalitärer Zug. Ein Rechtsstaat, der sich zur Bekämpfung totalitären Gedankengutes totalitärer Methoden (und nichts anderes ist das Einsperren aufgrund freier Meinungsäußerung) bedient, führt sich selbst ad absurdum. Freiheit schließt eben auch die Freiheit mit ein, das Falsche zu tun, so verachtenswert revisionistische Tätigkeiten und Äußerungen zweifellos sind. Schneidet sie, ignoriert sie, grüßt sie nicht mehr etc, aber: Freiheit - auch für die Deppen.
1 Comments:
Danke, ich habe etliche Ihre Argumente für einen Artikel zur Causa Irving für eine tschechische Wochenzeitschrift entwendet. Weiter einige Passagen daraus, vielleich können Sie sie ebenfalls benutzen.
Mit freundlichen Grüßen
Premysl Janyr
premysl@janyr.at
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In der österreichischen Diskussion stellen sich Positionen gegenüber, die paradoxerweise alle das gleiche Ziel verfolgen: Festigung der Demokratie und ihr Schutz vor jeglicher Art totalitärer Ideologien. Die Trennlinie verläuft dabei quer durch die politischen Lager ... Die Frage der Verfolgung politischer Ansichten ist auch für Tschechien vom Interesse, da hier eine ähnliche Diskussion über das Verbot der kommunistischen Partei stattfindet.
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Das Dilemma zwischen Demokratie, den Menschenrechten und Freiheiten einerseits und ihrem Schutz gegen totalitäre Ideologien andererseits ist freilich das Kernproblem ... Der Haupteinwand lautet natürlich, dass Freiheit auch Freiheit des Irrtums und des falschen Handelns mit einschließt... Wie und wann entsteht eigentlich die Strafbarkeit einer Meinungsäußerung? Indem man zu einer solchen Meinung anhand eigener Überlegungen gelangt, oder indem man eigene Meinung öffentlich äußert? In den österreichischen Strafanstalten sitzen immerhin mehrere Menschen, die der Definition der politischen Gefangenen genügen.
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Zur Kontraproduktivität des Verbotsgesetzes erlaube ich mir eine Überlegung, die ein österreichischer oder deutscher Autor auf dieser Weise vermutlich nicht formulieren würde. Die Meinungsbildung in einer demokratischen Gesellschaft findet anhand freier Würdigung von Argumenten und Informationen aus verschiedenen Quellen statt. Falls einige der Quellen von vornherein ausgegrenzt sind, ist es zwar möglich, eine allgemein „richtige“, politisch korrekte Meinung zu akzeptieren, jedoch nicht zu solcher aus eigener ehrlichen Überzeugung zu gelangen. Die Frage nach der Existenz der Gaskammer entbehrt jeden Sinn, wen nur Argumente einer Seite zugelassen und andere verboten werden, wenn per Gesetz die richtige Antwort vorgeschrieben und die andere bestraft wird. Auf dieser weise relativiert und diskreditiert das Verbotsgesetz gerade jene Ansichten und Positionen, die es eigentlich schützen sollte.
Die österreichische und deutsche Einstellung zum Nationalsozialismus ist freilich durch die exklusive historische Verantwortung geprägt. Jeder Versuch ihrer Relativierung muss notwendigerweise als ethisch unzulässiger Versuch bewertet werden, sich dieser zu entziehen, das menschliche Leiden zu bagatellisieren, sowie als Androhung eines latenten Rückfalls.
Gleichzeitig verhindern jedoch die Gleichsetzung des Chauvinismus, der nationalen Überheblichkeit und der ethnischen Unduldsamkeit mit dem zeitlich und räumlich eingegrenzten Nationalsozialismus, sowie die Monopolisierung der Schuld, das Verstehen ihrer allgemeinen historischen, geopolitischen und geistigen Zusammenhänge, das Erkennen analoger Muster an anderen Orten, zu anderen Zeiten, unter anderem Wortgebrauch, im Europa von heute, in seinem exklusiven Isolationismus, in seinem verbissenen Kampf gegen die „Ausländer und Zuwanderer“ – dessen Vorhut gerade Österreich ist.
Die Causa David Irving ist gleich aus zwei Gründen bezeichnend. Zuerst werden dabei die lokalösterreichischen Maßstäbe an einen Angehörigen eines anderen, durch den Nationalsozialismus historisch unbelasteten Staats angewendet, in dem die Freiheit der Meinung, der Diskussion und der historischen Forschung als höchste Werte gelten und je gegolten haben. Zum zweiten findet in Europa soeben ein Paradigmenwechsel statt, der die scharfe Zweiteilung auf Täter und Opfer der unmittelbaren Nachkriegszeit weitgehend auflockert. Nicht nur Tschechen, Slowaken und Polen, sondern mehr oder weniger alle damaligen „Siegernationen“ werden sich schrittweise auch ihres eigenen Anteils an der Entwicklung 1938-1948 bewusst, sowie ihrer Mitverantwortung für Verbrechen, die auch ihre Angehörigen währen dieser Zeit begangen haben, ähnlich wie sich Österreicher und Deutsche nicht nur des Leidens bewusst werden, das sie anderen zufügten, sondern schrittweise auch jenes, das sie dabei selbst erlitten haben. Es ist also ziemlich sicher, dass die Diskussion über das Verbotsgesetz mit der Causa David Irving erst richtig anfängt.
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