Montag, August 29, 2005

Im Dunstkreis III

Über einen Einwurf, den ich als das "Trostargument" bezeichnen will:

"Das Christentum bietet immerhin Trost für Menschen, die nicht in der Lage sind, alles mit Vernunft zu beantworten. Nur eine kleine Minderheit ist dazu fähig, alles mit Vernunft anzugehen und die Welt rein rational zu erfassen. Das Christentum gibt somit jenen Sicherheit, die nach spirituellen und emotionalem Halt suchen."

Es ist eine trügerische Sicherheit, die das Christentum anbietet. Der Preis für diese "Sicherheit" liegt darin, mit Widersprüchen leben zu müssen, mit Annahmen, die nicht in den übrigen Wissensstock integriert werden können, mit der Gewissheit, dass die Realität widersprüchlich ist, dass man den Sinnen grundsätzlich nicht vertrauen kann. Es ist nicht möglich, das Leben in Bereiche zu trennen, die vom Glauben dominiert werden und in jene, wo die Vernunft den Ton angibt. Der Mensch wird sich daran gewöhnen, auch in anderen Bereichen - in denen Vernunft am nötigsten wäre - vor der Realität im wahrsten Wortsinne die Augen zu (ver)schließen, weil es doch so viel einfacher ist, die Hände zu falten, nach oben zu sehen und darauf zu hoffen, dass alles von selbst gut wird. Wieso sich nicht einfach auf Gleise stellen und den herannahenden Zug "wegbeten"? A ist schließlich nicht mehr A, das Unmögliche ist möglich, das Nicht-Existente ("Gott") existiert, die Sinne sind unzuverlässig; vielleicht verschwindet der Zug, wenn ich die Augen schließe und ganz inbrünstig darum bete? - wieso nicht; anything goes, wenn man aufgegeben hat, die Realität als Absolutum zu begreifen.

Wenn ein Mensch daran scheitert, das Leben in Übereinstimmung mit seiner Natur als Mensch qua Mensch, d.h. als rationales Wesen, zu leben, kann er die Lösung nicht darin suchen, auf primitivere Lebensformen zurückzugreifen und jenes Werkzeug ablehnen, das für sein Überleben in jeder einzelnen Sekunde seines Daseins zentral ist: die Vernunft.