Über Anmut und Schönheit
Die griechische Fabel, welche zwischen Schönheit und Anmut unterscheidet, entkleidet Schiller der allegorischen Hülle und überträgt sie auf den Menschen. Während es sich bei der Schönheit, die er architektonische Schönheit nennt, um eine naturgesetzlich bedingte, vom Verdienst der Person unabhängige Eigenschaft handelt, liegt Anmut als Schönheit der Bewegung im Verdienst des Menschen. Die architektonische Schönheit zeigt sich unter anderem in vorteilshaften Proportionen, einem geoemetrischen Körperbau und zarter Haut. Sie hat sich im Sinne eines objektivierten Schönheitsideals als einziges Kriterium weithin durchgesetzt. Die Anmut hingegen geriet in Vergessenheit und wird von der neueren Ästhetik nur noch als Art der "niederen Schönheit" bezeichnet. Schiller sieht Anmut in demjenigen, was bei den beabsichtigten Bewegungen der Menschen unabsichtlich passiert. Sie entsteht in seiner Konzeption nur dort, wo es der Mensch im Besitz der Freiheit zu einer höheren sittlichen Fertigkeit gebracht hat, wo Pflicht und Neigung in ihm zusammenstimmen und dieses innere Verhältnis, das nur der schönen Seele zugänglich ist, in Erscheinung tritt.
"Anmut ist die Schönheit der Gestalt unter dem Einfluss der Freiheit; die Schönheit derjenigen Entscheidungen, die die Person bestimmt. Die architektonische Schönheit macht dem Urheber der Natur, Anmut und Grazie machen ihrem Besitzer Ehre. Jene ist ein Talent, diese ein persönliches Verdienst."
Nur noch selten stößt man auf Anmut, wiewohl sie der Anlage nach bestünde. Ausgetrieben wird sie meist, versteckt, übertüncht und verkümmert mit der Zeit. Hauptsache, das Make-up sitzt perfekt. Wer jedoch auch nur ein einziges Mal auf Anmut trifft, wer das Einzigartige spürt, wird sich nicht mehr mit weniger begnügen können.
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